Die Premiere ist gelungen: Mathematiklehrer Andreas Hollbach hielt am Donnerstag die erste virtuelle Unterrichtsstunde per Video-Livestream am Lyonel-Feininger-Gymnasium Mellingen/Buttelstedt. 13 seiner 15 Zehntklässler, die sich auf die besondere Leistungsfeststellung (BLF) vorbereiten, hatten sich eingeloggt. Anderthalb Stunden lang verfolgten sie, wie Hollbach die von den Schülern per Mail gewünschten Themenkomplexe mit diversen Beispiel-Aufgaben durchging: lineare und quadratische Funktionen, Stochastik. Über einen parallel zum Livestream geschalteten Chatkanal konnten die Schüler reagieren oder die gelegentlich von Hollbach gestellten Fragen beantworten. Der Mann, der diese Kommunikation überwachte und einfließen ließ, war der technische Kopfhinter dem Experiment: Axel Schorcht saß an einem Tisch im Unterrichtsraum, vor sich das Laptop unter anderem mit dem Chat, daneben auf dem Stativ die Kamera, gerichtet auf Hollbach und das elektronische Whiteboard -also die Tafel, auf welcher der Lehrer die Aufgaben vorrechnete. Schorcht legte 2018 in Mellingen sein Abitur ab und studiert jetzt Medieninformatik an der Bauhaus-Urıiversität. Als Leiter einer Arbeitsgemeinschaft hält der Technik-Freak und Hobbyfilmer seiner ehemaligen Schule die Treue. Vor dem Livestream hatten er und Hollbach in den letzten beiden Wochen bereits drei Video-Unterrichtsstunden für 9. und 11. Klassen produziert und zum Herunterladen auf den Schulserver gestellt. Dabei bemerkte Schorcht, dass der mobile Internetempfang in der Umpferstedter Straße gut genug ist, um es auch einmal live zu probieren. Er buchte mit seinem privaten Smartphone für einen Euro einen Tag lang unbegrenztes Datenvolumen und schaltete das Gerät dann als mobilen W-Lan-Hotspot. Die Festnetzleitung des Gymnasiums ist für ein solches Projekt viel zu langsam. Die Schüler brauchten für diese Unterrichtsstunden nur den Internet-Browser, einen Link und ein Passwort. „Technisch hätten wir sie per Webcam auch dazuschalten können, aber das kam wegen des Datenschutzes nicht in Frage“, so Schorcht. Die Technik hakte nur zwei Mal kurz: als der Student einen Anruf bekam und der Hotspot sich ausschaltete, und als das Whiteboard wegen stärker werdenden Sonnenlichts von draußen nachjustiert werden musste. Andreas Hollbach bemühte sich, auch im leeren Klassenzimmer etwas Unterhaltungswert in die trockene Materie zu bringen. Mit Sätzen wie: „Wem ihr das im Kopf rechnet, dauert das drei BLFs oder bis zur Rente.“ Die Stoff-Vermittlung hatte er bei den Zehntklässlern zum Glück absolviert, als der Corona-Stopp kam. Die letzten beiden Monate sollten ohnehin der Prüfungsvorbereitung dienen. Die schriftliche Mathe-Klausur der BLF (bisheriger Termin am 28. Mai) dauert 180 Minuten, den ersten Teil müssen die Schüler ohne elektronische Hilfsmittel lösen.

In Buttelstedt verfolgen die Zwillinge Paul und Philip Pfundheller (16) die Livestream-Premiere. Die Schule hat während der Schließzeit zwar Aufgaben für die Schüler auf der Homepage hinterlegt. Sie haben auch die Telefonnummern von Klassenlehrerin Katrin Kloth und anderen Lehrern, so dass sie Fragen stellen und Antworten bekommen. Doch so ein Livestream per Kamera ist doch noch etwas anderes. „Besser als kein Unterricht", sagt Philip. „Ich fühle mich jedenfalls nicht allein gelassen.“ Dabei ist er wie sein Bruder in Mathematik nur „so lala“.

Neben diesem Fach sind sie „auch in Deutsch und Bio schon ziemlich weit im Stoff“, weiß Paul. Das gibt ihnen jetzt die Möglichkeit, sich auf die BLF-Aufgaben vorzubereiten. Axel Schorcht übrigens kennen sie noch als Schülersprecher und waren mit ihm im Skilager.

Quelle:

thueringer-allgemeine.de - 03.04.20

Autoren: Michael Baar und Michael Grübner
Foto: Michael Grübner